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NEUES AUS
DER MUSIKWELT
KLASSIK
Diverse Kom ponisten
THE LEGEND OF JOSQUIN DESPREZ
La Sestina, Adriano G
iardina
DHM/Sony CD________________ (
73
}
Wenn die Zeitgenossen im
16
. Jahr-
hundert über Josquin Desprez spra-
chen, taten sie das in einer über-
schwänglichen Weise. Sie sahen in
ihm den Komponisten schlechthin.
Martin Luther wollte sogar, dass
seine Musik auf dem Totenbett er-
klingt. Aber anders als in der Bil-
denden Kunst (wer würde den Rang
eines Michelangelo bezweifeln) ist
es bei der Musik schwer, den künst-
lerischen Wert alter Musik heute er-
lebnishaft nachzuvollziehen.
Die CD „The Legend Of Josquin
Desprez“ des schweizerischen Vo-
kalensembles Sestina ist deswe-
gen verdienstvoll, weil sie sich auf
verschiedenen Wegen dem My-
thos Josquin annähert. Da gibt es
zum Beispiel einen Jean Castileti,
der die berühmte Josquin-Motet-
te „Benedicta es caelorum Regi-
na“ durch Zusatzstimmen klang-
lich verdoppelte. Dem Ensemble La
Sestina gelingt es auf fast beiläufi-
ge Weise, den stilistischen Unter-
schied vom Original zur gutgemein-
ten Verdopplung zu vermitteln: ist
die Originalmotette kunstvoll, po-
lyfon und klanglich intim, präsen-
tiert sich die Bearbeitung dagegen
monumental. Auch in dem Sanctus
aus der Missa „Benedicta es“ von
Palestrina, das auf dieselbe Motet-
te zurückgeht, können die Sänger
von La Sestina elegant zwischen
dem hymnischen homofonen San-
ctus in ein solistisches „Pleni sunt
coeli“ umschalten.
Auf diese Weise werden ei-
nem die interessanten Adaptio-
nen und Devotionen von und für
Josquin aus der Feder von Lasso,
Willaert, de Morales und anderen
in einer heutigen, gesanglich he-
rausragenden und stilistisch an-
gemessenen (auch wenn im Can-
tus Frauen singen) Weise nahege-
bracht. Ergänzt wird die CD von ei-
ner Hommage an Josquin des in
der Schweiz lebenden Komponis-
ten Victor Cordero.
R ic h a r d L o r b e r
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
Ludw ig van Beethoven
KLAVIERKONZERTE NR. 3 + 4
Maria Joao Pires; Swedish Radio Symphony
Orchestra, Daniel Harding
Onyx/Note
1
CD_______________ (
72
}
Es sind sehr „beherrschte“ Beet-
hoven-Interpretationen geworden.
Nicht nur, weil Pires auch hier wie-
der glücklich strenge Textobservanz
mit bezwingend unforciertem Vor-
trag verbindet. Sondern vor allem,
weil ihr Spiel die Klassizität der Mu-
sik betont und ganz ohne virtuosen
Aufputz auskommt. Parallel dazu
bemüht Harding sich (anders als
kürzlich bei Yundis „Emperor“) um
einen sehr kontrollierten Orchester-
klang, allerdings ohne an den sinfo-
nischen Zug vieler Vorgänger oder
den transparenten Feinschliff Ands-
nes’ heranzureichen. Klares, aber
nicht glanzvolles Klangbild.
ih d
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ____________
Fest der Musik
„Götterfunken“ lautet das Motto des Beethovenfestes Bonn 2014. In
60 Veranstaltungen soll anschaulich gemacht werden, wie Musik das
Publikum berührt und wozu Musik die Zuhörer bewegen kann. Beim
ersten Festival unter Leitung von Nike Wagner steht wie gewohnt
Beethoven im Zentrum , wobei drei Gattungen vollständig präsen-
tiert werden: Andris Nelsons und das City of Birmingham Orchestra
spielen alle neun Sinfonien an vier aufeinanderfolgenden Abenden,
das M ahler Cham ber O rchestra und Leif Ove Andnes widmen sich
den Klavierkonzerten und Leonidas Kavakos und Enrico Pace den
Violinsonaten des Meisters. Weitere bedeutende Solisten, Dirigenten
und Ensembles sind beispielsweise das Borodin Q uartet, das sei-
nen 2012 begonnenen Beethoven-Streichquartett-Zyklus vollendet,
W altraud Meier, Paavo Järvi/Die Deutsche Kam m erphilharm onie
Bremen oder das London Symphony Orchestra unter Sir John
Eliot Gardiner. Daneben gibt es Projekte wie das Schauspiel „Save
the W orld“, musikalische Lesungen (mit Hannelore Elsner) und
Uraufführungen.
www.beethovenfest.de
Selbstständig
Unter eigenem Label veröffentlichen die
Berliner Philharm oniker vier Sinfonien
von Robert Schumann
N
un also auch die Berliner. Ob London, Chicago, New
York oder Concertgebouw - längst haben die Klang-
körper den teils jahrzehntelangen Label-Partnern den
Laufpass gegeben und den Weg in die Selbstvermark-
tung eingeschlagen. Die Berliner Philharmoniker und Si-
mon Rattle legen zum Auftakt ihrer eigenen Reihe die
vier Sinfonien Robert Schumanns vor, in edler Ausstat-
tung und vom äußeren Format her für jeden herkömm-
lichen CD-Schrank untauglich: ein blumenbebilderter
Leineneinband ist um den Schuber gehüllt, der nicht
nur die beiden CDs, sondern auch eine Blu-ray enthält.
Diese kann man wahlweise im audiophilen Audioformat
mit
96
kHz
/24
Bit oder als HD-Video abspielen. Letzte-
res enthält zusätzliches Bonusmaterial, darunter ein
Gespräch mit dem Chefdirigenten. Wer die Interpreta-
tion in noch höherer Auflösung wünscht, kann mit ei-
nem beiliegenden Code online eine Version in bis zu
192
kHz
/24
Bit herunterladen.
Rattle setzt auf einen fein geäderten Klang, vol-
ler schöner Details, voller kluger Steigerungen. Das
klingt licht und wendig, in den langsamen Sätzen zu-
tiefst empfindsam und innig, in den Finalsätzen mo-
derat aufgeraut und trotzdem flüssig. Das einzige
Problem dürfte sein, dass mit dem Bremer Schumann-
Zyklus unter Paavo Järvi und vor allem mit dem Projekt
von Yannick Nezet-Seguin und dem Chamber Orches-
tra of Europe zeitgleich Konkurrenz entstanden ist.
In puncto Wagnis hat Nezet-Seguin die Nase vorn. So
aufrüttelnd, so forsch ist keine der anderen Aufnahmen.
Järvi und Rattle haben immer ein Mehr an Geschmack,
an edlem Klang parat, Nezet-Seguin gibt mehr den Der-
wisch, was dieser Musik, was Schumanns hin- und her-
gerissener Seele sicher entspricht. Und doch, trägt man
alle Einzelbeobachtungen zusammen, ist auch Järvis Auf-
nahme in einigen Punkten den Berlinern voraus, vor al-
lem was die Farben betrifft. Bei den Berlinern klingt die-
ser Schumann, auf sehr hohem Niveau, insgesamt eine
Spur zu professionell, die Vergleichseinspielungen wir-
ken passionierter, aussagepraller, aufrüttelnder, röntgen-
artiger. Rattle setzt auf Schönheit, auf Transparenz, und
auch nach mehrmaligem Hören bleibt es schön. Dieser
Schumann geht nicht unter die Haut.
C h r is t o p h V ra tz
Robert Schumann: „Sinfonien 1-4"; Berliner Phil-
harmoniker, Simon Rattle (Berliner Philharmoniker
Recordings), 2 CDs & Blu-ray; Preis: zirka 60 Euro
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
STEREO 9/2014 133
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